Verlängert Hungern unser Leben?

Von EAT SMARTER
Aktualisiert am 27. Dez. 2018

Extremes Kaloriensparen galt bisher als der einzige Anti-Aging-Trick, der wirklich funktioniert. Jetzt arbeiten Forscher an der Verjüngungskur ohne Magenknurren und verzeichnen bereits die ersten Erfolge.

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Der Ursprung von grauen Haaren, tiefen Falten, schlechten Augen und steifen Knochen liegt im Inneren unserer Zellen. Die biologische Maschinerie, die dort das Leben in Gang hält, erzeugt als unvermeidlichen Nebeneffekt giftigen Abfall. Was die schädlichen Stoffe des Stoffwechsels tagsüber zerstören, flickt der Körper über Nacht wieder. Doch den Reparaturteams entgeht immer ein kleiner Rest. Es sind winzige Fehler, aufs Ganze gesehen unbedeutend. Dennoch treiben sie den Prozess des Alterns jeden Tag ein bisschen weiter voran. Das einzige Mittel, den Verfall zu verzögern, liegt bisher im Verzicht aufs Sattwerden. 

Seit über 60 Jahren haben Forscher die lebensverlängernde Wirkung des Kaloriensparens immer wieder bewiesen, an Würmern, Mäusen, Fischen, Fliegen und Spinnen. Die Tiere leben rund 30 Prozent länger, wenn man ihnen ein Drittel der eigentlich benötigten Kalorien vorenthält, sie aber trotzdem mit allen nötigen Nährstoffen versorgt. Die Effekte des Hungers zählen demnach zu den am besten untersuchten Bereichen der Altersforschung.

Aber lohnt es, länger zu leben, wenn der Magen knurrt wie ein Rudel Wölfe?

Weil es keine kontrollierten Studien gibt, ist man auf Berichte von Menschen angewiesen, die sich dem Dauerhunger eine Zeitlang ausgesetzt haben. Sie fühlten sich kraftlos, weniger lebendig, fielen leicht in depressive Stimmungen und verloren das Interesse am Sex. Den meisten von uns liegt nichts daran, ein paar Jahre länger alt und gebrechlich zu sein. Wir wünschen uns, wie US-Altersforscher es mit dem Vergnügen an der Absurdität formulieren, "to die healthy", also "gesund zu sterben".

Jenseits der Pointe beleuchtet diese Formulierung den Wunsch, unsere Lebenskraft ohne Siechtum durch Krebs oder Herzerkrankungen möglichst lange zu erhalten. Dass unsere Art zu essen eine zentrale Rolle spielt, wenn es darum geht, bis ins hohe Alter gesund zu bleiben, das denken heute auch Mediziner, die noch vor zwei Jahrzehnten glaubten, der Einfluss von Lebensmitteln höre bei der Magenschonkost auf. Altersforscher setzen deshalb nicht allein auf Kalorienbeschränkung, sondern suchen nach Substanzen, die helfen könnten, unsere gesunde Lebensspanne ohne drakonische Diäten zu verlängern.

Furore machte zuerst ein Biostoff aus dem Rotwein, das Resveratrol. Er schaltet tatsächlich - ganz ähnlich wie der Hunger - eines der Gene an, die lebensverlängernd wirken. Auf diese Entdeckung hin haben die Genetiker natürlich gleich ein Gläschen getrunken und bald darauf eine Firma gegründet, die Resveratrol aus den Schalen der Trauben als Pille vermarkten soll. Das erste Medikament daraus soll noch vor 2015 auf den Markt kommen.

Die Jagd auf weitere Wunderstoffe ist längst eröffnet.

Ganz vorn liegt dabei eine Gruppe von Genetikern der Universität Wisconsin. Ihr Chef Richard Weindruch studiert bereits seit 30 Jahren in einem weltweit einmaligen Versuch die Effekte des Langzeithungers an Rhesusaffen. Jetzt hat sein Team eine ganze Reihe weiterer Antioxidanzien an Mäusezellen gestestet. Neben Resveratrol schalten auch Lycopin und Acetyl-L-carnitine Langlebigkeitsgene an und stoppen die Alterung von Herzzellen ähnlich wie der Dauerhunger.

Es kommt noch besser: Alpha-Liponsäure und Coenzym Q10, zwei körpereigene Stoffe, die es auch rezeptfrei als Pille in der Apotheke gibt, stoppen Alterungszeichen in den Zellen des Kleinhirns. Ein Effekt, der sonst nur als Folge von Langzeithunger beobachtet wurde. Bisher profitieren Labormäuse von den Anstrengungen der Forscher, bald werden es Affen sein und sicher auch Menschen. Doch wahrscheinlich sind das alles nur kleine Zwischenstopps auf der Suche nach dem heiligen Gral ewiger Jugend.

Ausgerechnet ein deutscher Professor aus Frankfurt, von der Europäischen Kommission mit einem Millionenbudget ausgestattet, um mit 11 Forscherteams in sieben europäischen Ländern herauszufinden, wie Mitochondrien Alterungsprozesse beeinflussen, hat jetzt den Durchbruch geschafft. Heinz D. Osiewacz und seine Mitarbeiterin Karin Luce brachten eine Variante des Pilzes Podospora anserina dazu, mehr von einem an der Qualitätskontrolle in den Mitochondrien beteiligten Protein zu bilden. Die Folge: Der Pilz lebt um mehr als die Hälfte länger. Und die gewonnene Zeit wird nicht, wie bei der reduzierten Nahrungszufuhr, durch eine Einschränkung der Lebensqualität erkauft. Dem untersuchten Pilz geht es richtig gut! Er steckt voller Energie und verkraftet den Umweltstress besser als seine Artgenossen. Prof. Osiewacz dazu: "Besonders interessant daran ist, dass das hier untersuchte Protein auch im Menschen vorkommt." Vielleicht ist also Hungern bald nicht mehr nötig, wenn es darum geht, gesund 150 Jahre alt zu werden.

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